6 Fragen an den Autor



1. Worum geht es im "Untergang von Mathemagika?"

Das Buch handelt von zwei Freunden, einem "ewigen" Mathematikstudenten und einem exmatrikulierten Philosophiestudenten, die eines Tages in der Kneipe Besuch von einem mysteriösen Gast bekommen und mit dessen Hilfe in das fantastische Königreich Mathemagika gelangen, wo sie eine verrückte Geschichte erleben, die eng mit einem bestimmten mathematischen Satz verflochten ist: dem Banach-Tarski-Paradoxon.

 

Im Kern geht es in dem Buch um fundamentale mathematische Fragen: Gibt es die Dinge, von denen die Mathematik handelt, in irgendeiner Weise wirklich? Und wenn ja, in welcher Weise? Und wenn nein, kann man dann überhaupt von mathematischer Wahrheit sprechen? Diese Fragen sind nicht einfach oder abschließend zu beantworten, aber es ist meiner Meinung nach wichtig und spannend, sie zu stellen und über mögliche Antworten nachzudenken.

2. Was ist das Banach-Tarski-Paradoxon?

Das ist ein mathematischer Satz, der scheinbar etwas ganz Unmögliches aussagt, nämlich, dass man eine Kugel in endlich viele Teile – tatsächlich reichen fünf – zerlegen kann und diese Teile zu zwei Kugeln der ursprünglichen Größe  zusammensetzen kann. Das Gesamtvolumen wird also verdoppelt, obwohl die Teile nur verschoben und gedreht werden. In einer etwas verallgemeinerten Version besagt das Banach-Tarski-Paradoxon, dass man jeden beliebigen geometrischen Körper in endlich vielen Teilen zu jedem beliebigen anderen Körper umbauen kann, ganz unabhängig von Form und Größe der Körper. Zum Beispiel einen Würfel von der Größe eines Zuckerwürfels in eine Kugel von der Größe einer Bowlingkugel oder eine Kugel in Erbsengröße in eine Kugel in Sonnengröße.

 

Wie ist das möglich? Tatsächlich ist das Banach-Tarski-Paradoxon kein Satz der Anschauungsgeometrie und schon gar kein Satz über materielle Gegenstände wie Zuckerwürfel oder Bowlingkugeln. Es ist ein Satz über Punktmengen und damit ein Satz der Mengenlehre. Man kommt darüber schnell zu recht tiefgründigen Fragen: Was ist das Kontinuum? Was ist ein Punkt? Was sind Mengen und was darf man mit ihnen machen? All diese Fragen sind schwieriger, als es zunächst den Anschein hat.

3. Was ist Mathemagika für eine Welt?

Mathemagika ist eine Welt, in der die Mengenlehre Realität ist, eine Welt, in der alles, was logisch möglich ist, genauer, was aus den Axiomen der Mengenlehre folgt, existiert. Mit anderen Worten: Mathemagika ist die Welt, in der sich ein Mathematiker tagtäglich bewegt, denn faktisch ist Mathematik heute angewandte Mengenlehre. Insofern werden die Axiome der Mengenlehre auch als Grundlage der Mathematik verstanden, aber das ist eine Sichtweise, die sich erst im letzten Jahrhundert allmählich herausgebildet hat. Damit aus einem Satz der Mengenlehre eine erzählbare Geschichte wird, muss es in Mathemagika natürlich auch richtige Personen geben, zum Beispiel einen König und eine Prinzessin und historische Mathematiker wie Cantor, Gödel und Hilbert.

4. Warum geht Mathemagika unter?

Ich will an dieser Stelle nicht zu viel über die genauen Umstände des Untergangs verraten. Aber die Bedeutung des Untergangs hängt mit der Frage zusammen, in welchem Sinne Mengen überhaupt existieren.

 

In der modernen Mathematik zieht man sich gerne auf einen formalen Standpunkt zurück. Das heißt, man sagt nicht, wovon eine Theorie eigentlich handelt, sondern gibt nur an, welche Axiome (also welche Grundaussagen) für die Theorie gelten sollen und notiert diese dann in einer formalen Sprache als bestimmte Zeichenketten. Beweisen ist damit formal ein Spiel mit an sich bedeutungslosen Zeichenketten nach bestimmten Regeln. Auf dieser syntaktischen Ebene kann man einer Aussage nicht die Attribute wahr oder falsch zuschreiben, sondern lediglich fragen, ob sie oder ihre Negation aus den Axiomen ableitbar ist. Es gibt auch Aussagen, für die keines von beiden gilt. Diese Aussagen sind in der Theorie formal unentscheidbar. 


Die Mengenlehre spielt aber in der Mathematik eine eigentümliche Doppelrolle. Einerseits ist sie eine formale axiomatische Theorie (mit unentscheidbaren Aussagen) wie andere mathematische Theorien auch. 

Andererseits wird sie aber auch metasprachlich verwendet, nämlich dann, wenn wir über Modelle von Theorien reden und den Zeichenketten eine Bedeutung geben. In dieser Rolle nennt man sie "Hintergrundmengenlehre" und behandelt ihre Gegenstände, die Mengen, als etwas Reales.  Auf Modelle bezogen haben Aussagen entweder wahr oder falsch zu sein.

 

Aber gibt es dieses "Mengenuniversum", das all die Gegenstände der Hintergrundmengenlehre beheimatet, wirklich? Mit seinen überabzählbaren Unendlichkeiten wäre es wahrlich eine Welt "jenseits unserer Vorstellung" und fernab jeglicher unmittelbaren Evidenz, die dem Endlichen noch innewohnt. Wir bilden uns ein, dass wir uns eine überabzählbare Menge vorstellen können, indem wir den Anschauungsraum  zur Punktmenge erklären und die Punkte mit bestimmten Objekten aus dem Mengenuniversum identifizieren. Wie schnell diese Vorstellbarkeit am Ende ist, zeigen schon die Punktmengen, die im Banach-Tarski-Paradoxon auftreten. Erst recht gilt das für noch höhere Stufen der Überabzählbarkeit. Mit unserem Verständnis von Mengen können wir aber noch nicht einmal entscheiden, ob das Kontinuum die erste Stufe des Überabzählbaren ist (für Eingeweihte: Die Kontinuumshypothese ist mit ZFC nicht entscheidbar).

 

Das Mengenuniversum  das ist die These und die Bedeutung des Untergangs von Mathemagika  ist eine Illusion oder, besser gesagt, eine Erfindung, eine fiktive Welt, die nur vereinbarungsgemäß existiert und in der auch die Wahrheit nur fiktiv ist. Diese Erfindung ist allerdings recht nützlich und fruchtbar, soweit wir das bisher beurteilen können. Eine Garantie, dass keine Widersprüche auftreten, wird es jedoch nie geben.

5. Was war die Motivation, dieses Buch zu schreiben?

Das Banach-Tarski-Paradoxon hat mich begeistert, seit ich das erste Mal im Studium davon erfuhr. Die erste Idee, einmal etwas für Nichtmathematiker darüber zu schreiben, reicht weit zurück. Die Idee, daraus einen Roman zu machen, kam erst sehr viel später.  Diese Idee hat mich dann aber gepackt. Ein hochspannendes, aber eben auch hochtheoretisches Kunststück wie das Banach-Tarski-Paradoxon mit allen wesentlichen gedanklichen Schritten in erzählender Form zu präsentieren, war die Grundidee und der Ansporn für das vorliegende Buch.

6. Wer sollte das Buch lesen?

Jeder, der davon fasziniert ist, dass etwas absolut Haarsträubendes absolut logisch sein kann. Jeder, der offen ist für skurrile Gedankenexperimente abseits der Alltagserfahrung. Und natürlich jeder, der sich für Mathematik interessiert.


Trotz des mathematischen Themas und der grundlegenden mathematischen Fragen, die es berührt, ist das Buch aber keine mathematikphilosophische Abhandlung. Man kann es auch ganz ohne mathematischen Hintergrund einfach als unterhaltsame und etwas verrückte Geschichte lesen und daran Spaß haben. Und man wird dann hinterher mehr über Mathematik wissen. Ich schätze zum Beispiel, dass die meisten von uns schon einmal in einer mindestens zwanzigdimensionalen Kneipe waren, ohne es zu bemerken. Wenn Sie das Buch gelesen haben, wissen Sie warum.