Kontinuum

Wenn man in der Mathematik heute von dem Kontinuum oder einem Kontinuum spricht, meint man meistens die Menge R der reellen Zahlen oder eine Menge, die genauso mächtig ist wie R, das heißt, deren Elemente man eins zu eins den reellen Zahlen zuordnen kann. Historisch betrachtet ist das aber eine sehr junge Auffassung, die erst mit der Mengenlehre im 19. Jahrhundert aufkam.

 

Von der ursprünglichen Wortbedeutung her ist ein Kontinuum etwas "ununterbrochen Fortlaufendes", etwas "zusammenhängend Ausgedehntes". In der klassischen Geometrie treten Kontinua als Linien, Flächen oder Körper auf und sind als solche ein-, zwei- bzw. dreidimensional. Ein Punkt dagegen ist kein Kontinuum, sondern diskret, diskontinuierlich, ausdehnungslos (manchmal sagt man auch nulldimensional).

 

Nach der berühmten Definition von Euklid ist ein Punkt etwas, "was keine Teile hat" oder "dessen Teil nichts ist". Punkte sind in der euklidischen Geometrie die Enden von Linien oder die Schnittpunkte von Linien. Der Gedanke, etwas Kontinuierliches würde aus ausdehnungslosen Punkten bestehen, wäre den antiken Geometern absurd vorgekommen. Der vorsokratische Philosoph Zenon hat zu dieser Problematik mehrere Paradoxa ersonnen.

 

Im 17. Jahrhundert bekam der Anschauungsraum in der analytischen Geometrie einen "arithmetischen Bruder" an die Seite gestellt, einen Koordinatenraum aus Zahlentripeln. Jedes Zahlentripel bezeichnete dabei einen Punkt im Raum. Hierdurch wurde es möglich, geometrische Probleme mit algebraischen Methoden rechnerisch anzugehen.

 

Mit dem Einzug der Mengenlehre in die Mathematik und der damit verbundenen Definition der reellen Zahlen verdrängte der jüngere Bruder den älteren schließlich vollständig. In der reinen Mathematik wurde der Anschauungsraum ersetzt durch R³ (der Menge der reellen Zahlentripel), einem mengentheoretischen Modell für die euklidische Geometrie.