Banach-Tarski-Paradoxon

Das Banach-Tarski-Paradoxon (Kugelparadoxon) ist ein mathematischer Satz, der 1924 von Stefan Banach und Alfred Tarski veröffentlicht wurde und der besagt, dass man eine Kugel in endlich vielen Teilen zu zwei Kopien von sich selbst umbauen kann, allein durch Drehen und Verschieben der Teile.

In einer verallgemeinerten Version besagt das Banach-Tarski-Paradoxon, dass man zwei beliebige Punktmengen im dreidimensionalen Raum in endlich vielen Teilen ineinander umbauen kann, wenn sie die folgenden zwei Bedingungen erfüllen:

  1. Sie müssen beschränkt sein (das heißt, sie müssen in eine ausreichend große Kugel hineinpassen)
  2. Sie müssen ein nichtleeres Inneres haben (das heißt, eine ausreichend kleine Kugel muss in sie hineinpassen)

Alle geometrischen Körper beliebiger Form und Größe erfüllen zum Beispiel diese beiden Bedingungen, lassen sich also jeweils in endlich vielen Teilen ineinander umbauen.

"Wie kann so etwas passieren?", ist man versucht zu fragen. "Und wer ist Schuld an dem Schlamassel?"

 

Zunächst ist festzuhalten, dass das Banach-Tarski-Paradoxon (auch in der ersten Version) kein Satz der Anschauungsgeometrie ist, obwohl es scheinbar von anschaulichen Kugeln handelt. Es ist ein Satz über Punktmengen, wobei der gesamte dreidimensionale Raum als Menge ausdehnungsloser Punkte aufgefasst und mit R³ (der Menge aller reellen Koordinatentripel) identifiziert wird. Die Kugeln und die Kugelteile, die im Paradoxon verwendet werden, sind also einfach bestimmte Teilmengen von R³. Trotzdem wirkt das Banach-Tarski-Paradoxon wie Zauberei, und man fragt sich unweigerlich, wie ein der Anschauung derart widersprechendes Phänomen möglich ist.

 

Bei der "Schuldfrage" wird schnell auf das inkonstruktive und im Beweis verwendete Auswahlaxiom der Mengenlehre verwiesen, denn dessen Gebrauch wird wegen des historischen Streits um dieses Axiom traditionellerweise ausdrücklich hervorgehoben. Meines Erachtens ist aber die einseitige Schuldzuweisung zu Lasten des Auswahlaxioms nicht gerechtfertigt. Zwar trifft das Auswahlaxiom eine gewisse Schuld, denn wenn man es aus ZFC (dem Axiomensystem der Mengenlehre) entfernt, lässt sich das Banach-Tarski-Paradoxon nicht mehr herleiten, aber das gilt auch für andere Axiome. Man muss der Fairness halber mindestens noch das Unendlichkeitsaxiom und das (ebenfalls inkonstruktive) Potenzmengenaxiom mit in die Haftung nehmen.

 

Das Unendlichkeitsaxiom trägt die Verantwortung, überhaupt erst die Tür zum aktual Unendlichen aufzustoßen (wenn auch noch in moderater, abzählbarer und konstruktiver Art). Zusammen mit dem Potenzmengenaxiom eröffnet sich dann die ganze Welt des Überabzählbaren, was unter anderem erst die "Atomisierung des Kontinuums" ermöglicht, also die Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende Vorstellung des Raums als einer überabzählbaren Menge ausdehnungsloser Punkte.

 

Es gibt eine "Light-Version" des Banach-Tarski-Paradoxons, die ganz ohne Auswahlaxiom und ohne überabzählbare Mengen auskommt und die daher auf das Konto des Unendlichkeitsaxioms geht. Diese Version besagt, dass es eine eine abzählbare Punktmenge auf der Sphäre (also der Kugeloberfläche) gibt, die man in endlich vielen Teilen zu zwei Kopien von sich selbst umbauen kann.

 

Ich nenne diese Version "light", weil man hier keine Fläche dazugewinnt, denn abzählbare Mengen ausdehnungsloser Punkte haben immer den Flächeninhalt 0. So hat die Ausgangsmenge den Flächeninhalt 0, und die zwei Kopien am Ende haben zusammen zweimal den Flächeninhalt 0, was immer noch 0 ist. Dennoch steckt in dieser Version des Paradoxons schon die ganze Magie des Verdoppelns. Den Rest besorgen das Potenzmengen- und das Auswahlaxiom. Ersteres sorgt dafür, dass es reelle Zahlen gibt und somit Punktmengen, denen man einen positiven Flächeninhalt zuschreibt. Letzteres sorgt dafür, dass man die magische Verdopplung im "Light"-Paradoxon auf eine Punktmenge mit positivem Flächeninhalt übertragen kann. Für die Übertragung der Verdopplung von der Sphäre auf die volle Kugel ist dann keine "Magie" mehr notwendig.

 

So ist das Banach-Tarski-Paradoxon eine Gemeinschaftstat der Axiome von ZFC mit den drei "Hauptschuldigen" Unendlichkeitsaxiom, Potenzmengenaxiom und Auswahlaxiom. Und es führt noch einmal deutlich vor Augen, dass R³ nicht der Anschauungsraum ist, sondern nur ein mengentheoretisches Modell desselben. Dieses Modell ist (mit dem ganzen theoretischen Apparat der Analysis) sehr leistungsstark und aus Mathematik, Naturwissenschaft, Technik und vielen anderen Bereichen nicht mehr wegzudenken. Aber es hat auch kontraintuitive Konsequenzen wie raumfüllende Kurven oder Kurven, die nirgendwo "glatt" (differenzierbar) sind – oder eben das Banach-Tarski-Paradoxon.