Das Auswahlaxiom ist ein Axiom aus ZFC und ein Beispiel für ein nicht konstruktives Axiom. Das heißt, es fordert die Existenz von etwas, ohne eine Konstruktionsanleitung anzugeben. Es besagt, dass es zu jeder Menge von nicht leeren, überschneidungsfreien Mengen eine Auswahlmenge gibt, die aus jeder dieser Mengen genau ein Element als Repräsentanten enthält.
Lädt zum Beispiel der Direktor einer Schule alle Klassensprecher zu einer Versammlung ein, so wendet er dabei das Auswahlaxiom an: Zur Menge aller Schulklassen bildet er eine Auswahlmenge mit Repräsentanten: die Menge aller Klassensprecher.
Bei endlich vielen Schulklassen ist das kein Problem, hat man aber unendlich viele Mengen vor sich, kann man tatsächlich oft keine Auswahlmenge konkret angeben. Trotzdem gibt es laut Auswahlaxiom auch in diesem Fall eine Auswahlmenge.
Im Endlichen ist das Auswahlaxiom also selbstverständlich und als Axiom sogar überflüssig (seine Aussage folgt aus den anderen Axiomen). Dass man für die Übertragung dieser "Selbstverständlichkeit" auf den unendlichen Fall eine gesonderte Legitimation, sprich ein Axiom braucht, ist wohl zuerst Giuseppe Peano 1890 bewusst geworden. Als Ernst Zermelo 1908 ein Axiomensystem für die Mengenlehre (einen Vorläufer von ZFC) vorschlug, enthielt dieses auch das Auswahlaxiom. In einer späteren Version von 1930 entfernte er das Auswahlaxiom wieder (und fügte andere Axiome hinzu).
Das Auswahlaxiom war von Anfang an umstritten. Zwar wirkte es einleuchtend und erwies sich in zahlreichen Beweisen als nützlich, aber vielen Mathematikern war nicht wohl bei dem Gedanken, die Möglichkeit, eine unendlichfache Auswahl treffen zu können, pauschal per Axiom festzuschreiben. Das ungute Gefühl resultierte aus dem besonderen Charakter des Auswahlaxioms. Es liefert nicht nur keine Konstruktionsanleitung (also kein Verfahren, das die Repräsentanten auswählt), sondern überhaupt keinen Anhaltspunkt für die Auswahl, keine verbindende Eigenschaft der Repräsentanten. Es sagt nur aus, dass es eine Auswahlmenge gibt.
Der breite Widerstand gegen das Auswahlaxiom wurde erst aufgegeben, als Kurt Gödel 1938 zeigte, dass durch die Hinzunahme des Auswahlaxioms keine Widersprüche entstehen. Andersherum ausgedrückt: Wenn die Mengenlehre widersprüchlich sein sollte, dann liegt das nicht am Auswahlaxiom, sondern bereits an den anderen Axiomen aus ZFC. Warum also sollte man sich weiterhin gegen ein Axiom sperren, das einleuchtend, nützlich und erwiesenermaßen ungefährlich war? Paul Cohen zeigte allerdings 1963, dass auch die Negation des Auswahlaxioms nicht im Widerspruch zu den übrigen Axiomen steht. Das Auswahlaxiom ist also mit den restlichen Axiomen nicht entscheidbar. Man kann bewusst eine Entscheidung für oder gegen das Auswahlaxiom treffen. Die meisten Mathematiker entscheiden sich heute für das Auswahlaxiom.
Eine Konsequenz des Auswahlaxioms ist, dass es nicht messbare Teilmengen von R gibt. Im Banach-Tarski-Paradoxon wird das Auswahlaxiom auf folgende Weise benutzt: Man zerlegt die Sphäre (Kugeloberfläche) in überabzählbar viele abzählbare Punktmengen. Dann bildet man eine Auswahlmenge, die aus jeder der überabzählbar vielen Mengen jeweils einen Punkt enthält. Diese Auswahlmenge hat keinen definierbaren Flächeninhalt, sie ist "nicht messbar", wie man sagt. Die Sphäre ist dann die abzählbare Vereinigung solcher unmessbarer Teilmengen. Durch geschickte Zusammenfassung dieser Teilmengen erhält man endlich viele Sphärenteile, mit denen man die Sphäre verdoppeln kann.